Interview mit Prof. Dr. Peter Ulrich

in: ZV info – Zeitschrift des Zentralverbands Staats- und Gemeindepersonal Schweiz, Nr.4, 13. April 2005

Managerlöhne

Sind Sie zufrieden mit dem Inhalt der Gesetzesvorlage?

Nicht wirklich. Es handelt sich um eine typisch schweizerische, halbe Lösung, gekennzeichnet von Mutlosigkeit gegenüber den privatwirtschaftlichen Macht-trägen. Die Geheimniskrämerei um die Spitzenlöhne von Topmanagern passt doch längst nicht mehr zur Tatsache, dass grosse Unternehmen quasi-öffentliche Institutionen sind, an denen alles ausser der eigentumsrechtlichen Basis öffentlichen Charakter hat oder von höchster öffentlicher Relevanz ist. In einer offenen Gesellschaft freier und gleichberechtigter Bürger, wie es die Schweiz in besonderem Mass zu sein beansprucht, ist deshalb Transparenz in diesen Dingen geboten. Zwar ist es erfreulich, dass überhaupt ein Schritt in Richtung Transparenz gegangen wird. Aber weshalb nicht gleich zwei Schritte? Einmal mehr scheint die Schweizer Politik in der Defensive befangen und wird erst auf internationalen Druck nachziehen.

 

Warum aber ist die volle Transparenz bezüglich der Löhne in der Geschäftsleitung wichtig? Warum genügt es nicht, die Entschädigungen der Verwaltungsräte und die Gesamtbezüge der Geschäftsleitung sowie den anonym gehaltenen Spitzenlohn bekannt zu geben?

Es handelt sich schlicht um eine Frage guter und glaubwürdiger Unternehmensführung im Umgang mit Macht- und Verantwortungsfragen (Corporate Governance). Damit hapert es in vielen Schweizer Grossunternehmen noch bedenklich, beispielsweise wenn der CEO sich in Personalunion als Verwaltungsratspräsident gleich selber kontrolliert (z.B. bei Novartis, Roche und demnächst wohl Nestlé) oder wenn Geschäftsleitungsmitglieder im Compensation Committee sitzen und dort über ihre eigenen Bezüge mitentscheiden (z.B. Nestlé-Chef P. Brabeck). Dann ist es umso wichtiger, dass die Aktionäre und die allgemeine Öffentlichkeit eine gewisse Kontrolle ausüben können. Solcher Legitimationsdruck verändert auf die Dauer das Rollenverständnis der obersten Führungskräfte in Richtung eines bewussteren Umgangs mit den ganz normalen gesellschaftlichen Wert- und Interessenkonflikten um das unternehmerische Handeln.

 

Gibt es heute noch unethisch hohe Löhne?

Ein Wirtschaftsethiker würde nicht genau so fragen. "Ethisch" ist die Beurteilungsperspektive, nicht ein fixer Massstab. (Man sollte deshalb auch das Wort ‚unethisch’ durch ‚unmoralisch’ ersetzen.)

 

Welches sind also die Beurteilungsgesichtspunkte "anständiger" Topmanagerlöhne?

Ich sehe im Prinzip vier mögliche Kriterien.

Erstens: "Leistungsgerechtigkeit"? Vergessen Sie alles Gerede davon in den Teppichetagen! Mit Leistung haben die z.T. ja völlig abgehobenen Millionenbezüge nun wirklich nichts zu tun. Symptom ist nicht zuletzt, dass diese Bezüge in Geschäftsjahren mit schlechtem Firmenergebnis meistens nicht oder nur marginal sinken. Und überhaupt: Kein Mensch kann x-hundert mal mehr leisten als die andern Mitarbeiter einer komplex-arbeitsteiligen Organisation! Es wäre anmassend, würden sich die obersten Führungskräfte, die ein Unternehmen repräsentieren, einen so unverhältnismässigen Anteil an der gemeinsamen Leistung zurechnen.

 

Zweitens: "Marktlöhne" im Wettbewerb um knappe Spitzenmanager? Vergessen Sie auch diesen Unsinn. Die Explosion der Topmanagerlöhne in den letzten paar Jahren hat nichts mit einer plötzlichen Verknappung fähiger Leute zu tun, sondern viel mehr mit der Selbstbedienung einer Berufsgruppe, die ihre Bezüge mit so genannten "Referenzlöhnen" – d.h. dem Verweis auf die "üblichen" Vergütungen dieser Gruppe – wechselseitig hochschaukelt. Da herrscht Durchsetzungsmacht, nicht Markt.

Drittens: Zum Wohl der Firma, also betriebswirtschaftlicher Nutzen? Wenig bis nichts spricht für einen solchen empirischen Zusammenhang. Die Firmen mit den masslosesten Gehältern der obersten Ebene sind keineswegs immer die erfolgreichsten Firmen. Ausserdem: Zu wessen Nutzen konkret sollten die Riesengehälter gut sein? Sie gehen doch ganz klar sowohl auf Kosten der Aktionäre als auch der normalen Mitarbeitenden der Firma – und wecken deshalb bei beiden Gruppen entsprechenden Unmut.

Viertens: Zum Wohle der Volkswirtschaft? Auch dies ist eine Mär. So erweisen sich etwa die skandinavischen Volkswirtschaften, die eine deutlich geringere Lohnspreizung als andere Länder aufweisen, in jüngster Zeit als besonders erfolgreich im internationalen Wettbewerb.

Unter allen vier genannten Gesichtspunkten bleibt es dabei: Die explosiv gestiegenen Bezüge der obersten Führungsebenen in den Firmen sind eigennützig motiviert und Ausdruck veränderter Machtverhältnisse. Mit Gerechtigkeit oder auch nur mit "Anstand" haben sie wenig zu tun.

 

Welche Lohndifferenz in einem Unternehmen erachten Sie als unmoralisch?

Dies in einer konkreten Zahl zu quantifizieren, ist eine pragmatische Aufgabe, die in der Praxis zu lösen ist. Aus wirtschaftsethischer Hinsicht lassen sich nur grundsätzliche Hinweise geben. Etwa der, dass das Verhältnis zwischen den Spitzenlöhnen und der untersten Ebene in schweizerischen Firmen traditionellerweise nur etwa 1 zu 7 bis 1 zu 30 betrug.
Erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts stieg es dann immer rascher an. Als nach 1995 die ersten CEO-Bezüge in der Grössenordnung von etwa 5 Mio. SFr. bekannt wurden (z.B. Rolf Hüppi bei der Zürich Versicherung), war die Öffentlichkeit noch baff vor Staunen und ordentlich entrüstet, denn damit war die Schwelle von 1 zu 100 überschritten. Heute sind wir bereits bei 1 zu 400 angelangt (UBS, Novartis). Das ist nicht mehr vertretbar. Persönlich würde ich dafür plädieren, dass eine Bandbreite von etwa 1 zu 50 oder nicht viel mehr genügen müsste. Wäre das verbindlich festgelegt und wollten die Spitzenmanager ihre Bezüge dann gleichwohl anheben, so müssten sie gleichzeitig alle Löhne in ihren Firmen mitziehen. Wäre doch fair, oder etwa nicht? Manager, die so unersättlich sind, dass sie sich damit nicht zufrieden geben, sind offenbar einseitig pekuniär motiviert und daher m.E. ohnehin nicht die besten Führungskräfte. Die Generalversammlung sollte sie durch ganzheitlicher denkende Köpfe ersetzen.

 

Sind hohe Lohnunterschiede ein schweizerisches Problem? Gibt es Länder, sich unter ethischen Gesichtspunkten korrekter verhalten?

Nein, das ist kein spezifisch schweizerisches Problem. Es ist eher so, dass sich die europäischen Unternehmen diesbezüglich den US-amerikanischen Gepflogenheiten angepasst haben. Manchmal könnte man fast meinen, gewisse Fusionen über den grossen Teich hinweg, wie z.B. von Daimler-Benz mit Chrysler zu Daimler-Chrysler, waren mehr dadurch motiviert als durch betriebswirtschaftliche Rationalität.

 

Gibt es Gegentendenzen?

Nun, ich denke schon. So sind beispielsweise in Grossbritannien seit der neuen Regelung im Aktienrecht, wonach die Aktionäre an der Generalversammlung über die Geschäftsleitungsgehälter entscheiden können, die Lohnexzesse auf dieser Stufe deutlich zurückgegangen.

 

Kennen Sie Beispiele ungerechtfertigter Lohnunterschiede aus der öffentlichen Verwaltung? Oder erachten Sie das Besoldungsgefüge im öffentlichen Dienst als korrekt?

Verglichen mit der Privatwirtschaft haben die öffentlichen Verwaltungen in der Schweiz eine geradezu flache Lohnverteilung. Hier liegen eher die Löhne für die weniger qualifizierten Tätigkeiten über jenen in der Privatwirtschaft, während die Gehälter für hochqualifizierte Funktionen deutlich unter jenen in der Privatwirtschaft liegen. Nehmen Sie als besonders deutliches Beispiel die Universitäten: Geht man im Vergleich von 100%-Pensen aus, so verdient ein Ordinarius trotz des langen Qualifikations- und Berufungswegs bis dahin nur etwa 2,5 bis 3 mal so viel wie ein wissenschaftlicher Assistent und Doktorand gleich nach dem Lizentiat. Und er arbeitet heutzutage wohl auch kaum weniger intensiv und extensiv als Manager. Persönlich finde ich das in Ordnung so.

 

Was empfehlen Sie den Chefs bei der Festsetzung ihres eigenen Lohnes?

In struktureller Hinsicht empfehle ich strikte Gewaltenteilung. Niemand, auch nicht der oberste Chef, soll sein eigenes Gehalt mehr oder weniger selber bestimmen können. In das Compensation Committee gehören daher ausschliesslich externe Verwaltungsräte, und sie dürfen nicht selber alle in Managerpositionen sitzen.

In "kultureller" Hinsicht empfehle ich den CEO’s, sich ihre unternehmerische Erfolgsphilosophie genau zu überlegen. Wofür stehen sie ein? Für rücksichtslose Gewinnmaximierung seitens ihrer Firma? Dann ist die persönliche Einkommensmaximierung nur konsequent. Wenn es dem obersten Chef aber ein Anliegen ist, dass das von ihm geführte Unternehmen sich wie ein guter Bürger verhält (Corporate Citizenship), also sein öffentliches Ansehen aus dem glaubwürdigen und ausgewogenen Dienst für alle "Stakeholder" (Aktionäre, Kunden, Mitarbeitende, Standortgemeinden, usw.) gewinnt, ist es einfach unklug, dies allein schon durch das persönliche Bereicherungsverhalten zu konterkarieren. Die Sensibilität der Öffentlichkeit für solche Unglaubwürdigkeit wird aller Voraussicht nach – und hoffentlich – weiter steigen. Damit wird in Zukunft der unternehmerische Erfolg immer mehr auch von der persönlichen Integrität und der Glaubwürdigkeit des Spitzenpersonals abhängen.

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