Interview in watson.ch
«LSD
kann die eigene Haltung positiv
beeinflussen»

Juraj Styk
Bild: roland schmid
Der Schweizer
Psychiater, der glaubt, dass die Welt durch LSD ein bisschen besser
werden könnte
Psychiater Juraj Styk war ein enger Begleiter von LSD-Erfinder Albert
Hofmann. Für ihn ist der Stoff ein Glücksfall.
Ein Gespräch über atmende Blätter, Horrortrips und eine Droge, deren
Potenzial völlig unterschätzt wird.
Juraj Styk, wie war es, als Sie das
erste Mal LSD genommen haben?
Juraj Styk: Ich war ein junger Arzt an einer psychiatrischen Klinik in
der Slowakei. Da packte ich die Gelegenheit, an einem
Forschungsinstitut in Prag eine Weiterbildung zu absolvieren; es ging
darum, sich mit Hilfe von LSD besser in die psychische Welt von
Geisteskranken versetzen zu können. Sechs kontrollierte
Selbsterfahrungen waren nötig, um das in der Tschechoslowakei
hergestellte LSD-Lizenzpräparat der Sandoz zu bekommen. So bekam ich
das theoretische und praktische Rüstzeug für die LSD-Therapie.
Und wie war die erste LSD-Einnahme
als
Erlebnis?
Es war ein grundlegendes Erlebnis. Ich habe das LSD in einem Büro der
Klinik eingenommen und zwei Kolleginnen gebeten, mich dabei zu
begleiten. Ich dachte, ich hätte eine gute, vertrauensvolle Beziehung
zu ihnen. Das hat sich auf der Reise aber nicht bestätigt. Ihre
Gesichter haben sich zu Fratzen verzogen. Eine von ihnen erlebte ich
als eine strenge Lehrerin aus der ersten Klasse, die mich geplagt und
vor den anderen beschämt hat. Diese vollkommen vergessene Erinnerung
aus meinem sechsten Lebensjahr kam also unerwartet in mir auf und ich
habe einen qualvollen Trip erlebt. Hinterher konnte ich aber darüber
reflektieren, wie wichtig es ist, wenn einem unbewusste Zusammenhänge
in den Sinn kommen.
War LSD damals nicht verteufelt?
Es war beides: idealisiert und verteufelt.
Idealisiert wurde es vor allem von Künstlern. Die Surrealisten sahen
ihre Fantasie in den Zuständen verzerrter Wahrnehmung bestätigt;
Musiker experimentierten mit psychedelischen Klängen. Den meisten
Medizinern war LSD unheimlich. Ich habe in den 70er Jahren selbst
Leute
gesehen, die nach dessen unkontrollierter Einnahme in psychotische
Zustände geraten waren. Ich erinnere mich an einen Mann, bei dem LSD
eine Schizophrenie ausgelöst hatte. Es gibt deshalb LSD gegenüber eine
kritische Haltung. Nur ist es leider so, dass die Vorzüge dieses
Stoffs
nicht verstehen kann, wer ihn nie genommen hat.
Wer offen ist für seine bewusstseinserweiternde Wirkung, kann
davon profitieren.
«In unserer
früheren sowie einer neuen Studie konnte gezeigt werden,
dass LSD in einem guten Setting keine gefährliche Substanz
ist.»
Ihr erster Versuch klingt auch nach
einem sehr schlechten Trip.
Aber die Konsequenzen waren für mich positiv. Ich habe daraus gelernt,
dass das Unbewusste existiert. Wenn wir es nicht untersuchen, wirkt es
in uns weiter – und äussert sich zum Beispiel als Misstrauen, Hemmung,
Angst oder Kommunikationsstörung. Horrortrips entstehen fast
ausnahmslos unter schlechten Bedingungen. Die Einnahme muss in einem
vertrauensvollen, geschützten Rahmen stattfinden.
Die Erwartungshaltung muss stimmen. Und die Dosis. Sie war bei mir für
ein erstes Mal relativ hoch.
«In unserer früheren sowie einer neuen Studie konnte gezeigt werden,
dass LSD in einem guten Setting keine gefährliche Substanz ist.»
Haben Sie in späteren Selbstversuchen
gute Erfahrungen mit LSD gemacht?
Ja. Ich habe gemerkt, dass ich kreativer wurde: Ich konnte viel besser
schreiben, meine Fantasie hat sich entfaltet. Das war wunderbar. Wenn
man LSD in der Natur einnehmen kann, etwa in Begegnung mit einem
schönen Baum, bekommt man ein ganz anderes Bewusstsein für die Umwelt.
Und das bleibt dann?
Diese Erinnerungen sind unauslöschlich.
Ich hätte Angst davor, dass es meine
Persönlichkeit verändert.
Es verändert die Persönlichkeit, aber im positiven Sinn. Eine
professionell durchgeführte LSD-Therapie bewirkt bei den meisten
Menschen ein gegenseitiges Verstehenwollen. Es geht um Werte, etwa um
eine humanistische Einstellung oder das Umweltbewusstsein. Die grosse
Palette an Emotionen, von denen wir im Alltagsleben nur eine bestimmte
Menge erfahren, wird erweitert. Aber Timothy Learys Idee, der
amerikanische und der russische Präsident sollten sich unter
LSD-Einfluss begegnen und dann zusammen eine harmonischere Welt
schaffen, war eine Illusion.
Aber LSD verstärkt Gefühle. Wie kann
es da ein gutes Mittel gegen Ängste und Aggressionen sein?
Tatsächlich verstärkt es Emotionen, wie ein Katalysator. Doch wenn
beispielsweise ein krebskranker Mensch Angst vor dem Tod hat, so kann
eine LSD-Therapie mit der entsprechenden Begleitung einen Prozess der
Überwindung in Gang setzen. Vielleicht braucht es dafür auf die
jeweilige Person zugeschnittene Meditation und Musik. Wenn man sieht,
wie sich Materie verwandelt, wie die Atome sich bewegen, die Blätter
atmen, dann bekommt das ganze Universum eine andere Dimension. Das
macht sehr viel Hoffnung.
Aber Sie dürfen LSD nun nicht mehr in
Therapien verwenden?
Ich habe während zweier legaler Phasen damit gearbeitet: erst in der
Slowakei, von 1988 bis 1993 in der Schweiz. Verschiedene Gesuche beim
Bundesamt für Gesundheit, diese Therapie bei ausgewählten Patienten
fortzusetzen, wurden blockiert. Nun, 55 Jahre nach dem Verbot, wird es
allmählich zu Forschungszwecken gelockert. In unserer früheren sowie
einer neuen Studie konnte gezeigt werden, dass LSD in einem guten
Setting keine gefährliche Substanz ist. Es kann in derpsychischen
Einstellung der Patienten existenzielle Sinnfragen positiv verändern.
«Die
Drogen, die die Gesundheit ernsthaft
schädigen können,
sind
immer noch legal: Alkohol und Tabak.»
Es klingt so, als ob LSD allen gut
täte.
Nein, es hängt sehr davon ab, wie man innerlich bereit ist, sich auf
diese länger dauernde, tiefenpsychologische Arbeit einzulassen. Man
darf nicht meinen, dass ein Zaubertrip alle Probleme lösen kann.
LSD wurde Ende der 60er Jahre
verboten. Aus politischen Gründen?
LSD-Missionar Timothy Leary, der damals viele Leute beeinflusst hat,
forderte auf zum Ausstieg aus dem kapitalistischen Lebensstil und zur
Ablehnung des Vietnamkrieges. Das hat den damaligen Machthabern
natürlich nicht gepasst. Deshalb kam LSD unbegründet auf dieselbe
Verbotsliste, auf der die schwersten Drogen stehen. Das Lächerliche
dabei ist: Die Drogen, die die Gesundheit ernsthaft schädigen können,
sind immer noch legal: Alkohol und Tabak. LSD ist in der richtigen
Dosis für die Gesundheit unbedenklich. Nicht Tausendstel, sondern
Millionstel von Gramm sind bereits psychoaktiv.
Sind Sie für die Legalisierung?
Nein. LSD sollte nur unter Anleitung von Fachpersonen genommen werden.
Dafür hat sich auch Albert Hofmann weltweit stark gemacht.
Nehmen Sie es noch?
Nein. Ich habe die Lehre daraus gezogen.

Der Schweizer Albert Hofmann (* 11.
Januar
1906 † 29. April 2008)
ist der Entdecker des LSD.
Bild: KEYSTONE
Hat das, was wir im Stück gesehen
haben, irgendeine Gemeinsamkeit mit Ihren LSD-Erfahrungen?
Die Theatervorstellung hat mich und meine Frau sehr gerührt, weil sie
Albert Hofmann sicher eine grosse Freude bereitet hätte. Es ist eine
Hommage an seine Gedanken und seine mutigen Selbstversuche. Man stelle
sich vor, ein anderer Chemiker wäre an einem Freitagnachmittag mit
einer merkwürdigen Intoxikation konfrontiert gewesen. Viele hätten die
Finger davon gelassen und niemandem etwas davon erzählt. Hofmann hat
gemerkt: Da passiert etwas Wesentliches. Er hat sich einer ziemlich
hohen Dosis ausgesetzt und das Erlebte protokolliert. Das kam auf der
Bühne mit Hilfe dieser Papierbahnen, Musik und Licht schön zum
Vorschein. Es evozierte einen synästhetischen Zustand.
Das Stück spielt mit dem Kontrast,
dass hier ein braver, fast biederer Chemiker aus Baselland ...
Ein Aargauer eigentlich.
Ja, stimmt. Und der erfindet
plötzlich
diese wilde Hippie-Droge.
Im Theater klingt seine Erfahrung so: «Aufhebung der Ich-und-du-
Schranke beim Übertreten der Rütimeyerstrasse.»
Ich sehe in dieser Szene aufgrund eigener Erfahrung die Bemühung, sich
zu orientieren. Man ist so verwirrt, dass man froh ist, dass man noch
lesen kann: «Rütimeyerstrasse».
Sie haben ein Foto von Hofmanns 100.
Geburtstag mitgebracht, den Sie und Ihre Frau Sonja mit ihm gefeiert
haben. Wie war Ihre Beziehung zu ihm?
Wir hatten schon in den 70er Jahren grosse Achtung vor ihm. 1986
lernten wir uns an einer Tagung kennen. Bald trafen wir uns auch
privat
und pflegten einen anregenden Austausch. Sein Traum war, dass LSD
wieder für die klinische Forschung zugelassen wird. Er hat dabei
Hoffnungen in mich als Präsidenten der Ärztegesellschaft für
psycholytische Therapie gesetzt. Er ist ein Naturwissenschafter, der
auch den Weg in die Philosophie und Geisteswissenschaften gefunden
hat.
Diese Gemeinsamkeit hat uns angezogen.
Hofmann hatte die Vision, dass LSD
die
Menschen zu etwas Besserem macht.
Er war nicht religiös gebunden, aber offen für spirituelle Erlebnisse.
Er hielt es für möglich, solche mit Hilfe von LSD zu erfahren. Er
pflegte auch Kontakt zu Religionswissenschaftern. Im Theater wurde das
mystische Erlebnis Hofmanns als kleiner Knabe im Wald über Baden
mehrmals erwähnt. Seine Einstellung, dass alles mit allem
zusammenhängt, basierte auf diesem Kindheitserlebnis und wurde durch
die Erfahrungen mit LSD bestätigt.
Können Sie sich vorstellen, dass sich
seine Hoffnung irgendwann erfüllt?
Wenn es gelingt, eine neue Werthierarchie zu entwickeln, mehr hin zum
humanen Umgang miteinander, können solche Stoffe diesen Prozess
unterstützen. Heute sind ganz andere Drogen in Mode: aufputschende,
leistungssteigernde Amphetamine. Die Einstellung, dass es noch etwas
gibt, das sich ausserhalb unseres Alltagsbewusstseins abspielt, geht
oft in der Hektik unter. Wenn dieses Interview nun zu Weihnachten
erscheint, kann es vielleicht dazu anregen, etwas Sinnvolles in Gang
zu
setzen in unserem Bewusstseinsprozess.
(Interview: Susanna Petrin / bz Basel)
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